"Anstatt die Reißleine zu ziehen, habe ich es mit der Brechstange versucht"
07.06.2023 – thorsten eisenhofer
Jonas, beim Rennen der 1. Bitburger 0,0% Triathlon-Bundesliga im Kraichgau Mitte Mai warst du als Zuschauer dabei – wie schon im Vorjahr. Der Unterschied war: dieses Jahr bist du nicht mehr als Leistungssportler aktiv. Hat sich das Zusehen anders angefühlt?
Was gleich war: Ich war in beiden Jahren sehr angespannt und habe aufgrund des spannenden Rennverlaufs sehr mit dem Hylo-Team Saar mitgefiebert. Was anders war: 2022 hatte ich beim Zuschauen ein nicht so gutes Gefühl, weil ich nicht starten und mein Team nicht als Athlet unterstützen konnte.
Dieses Jahr war es ganz anders: Ich hatte mit dem Hylo-Team einen sehr schönen Tag, habe mich gefreut, so viele bekannte Menschen zu treffen und mit ihnen zu plaudern.
Wenn du nun bei Wettkämpfen dabei bist, fühlt es sich so an, als wenn dir etwas fehlt?
Die vergangenen beiden Jahre waren nicht einfach für mich. Ich konnte aus gesundheitlichen Gründen viele Rennen nicht beenden. Es ging meistens nicht um eine gute Platzierung, sondern darum, ob ich es ins Ziel schaffe.
Durch die vielen Rennaufgaben und Rückschläge habe ich nicht mehr so auf die Wettkämpfe hingefiebert wie früher. Es fehlte der Sinn der Sache. Deswegen fühlt es sich momentan auch nicht so an, als ob mir etwas fehlt.
Weißt du, was der Auslöser für deine psychischen Probleme war?
Nicht zu 100 Prozent. Es war natürlich schwer, für mich zu verarbeiten, dass ich bei Wettkämpfen oftmals das Ziel nicht erreicht habe und im Training nicht mehr voll durchziehen konnte, vor allem im Schwimmen Einheiten vorzeitig beenden musste.
Das Fatale war: Ich habe damals das Problem nicht gesehen beziehungsweise wollte es nicht wahrhaben. Ich habe weitergemacht, weil ich die Hoffnung hatte, die Probleme lösen sich von selbst. Und ich wusste natürlich auch: nur mit guten Wettkampfergebnissen bleibe ich im System Hochleistungssport.
So hat es sich immer weiter hochgeschaukelt.
Es ging mir eher schlechter als besser. Anstatt die Reißleine zu ziehen, habe ich es mit der Brechstange versucht. So bin ich erst recht in eine negative Spirale geraten.
Im Leistungssport sind die Wettkampfergebnisse die Währung. Da zählt es. Also habe ich versucht, Rennen zu machen. Dabei habe ich zu diesem Zeitpunkt nicht mal mehr nach Trainingsplan trainiert, weil ich ja nie wusste, wie gut es mir am nächsten Morgen geht, ob ich mich überhaupt in der Lage fühlte, zu trainieren.
Deinen letzten Wettkampf hast du beim Bundesliga-Rennen in Hannover Anfang September 2022 gemacht.
Der Wettbewerb ist ein gutes Beispiel dafür, dass ich Warnzeichen überhört habe. In den Tagen vor dem Rennen ist mir eine Langhantelstange auf den Kopf geknallt, am Vorabend des Wettbewerbs habe ich mich beim Training am Fuß verletzt. Gestartet bin ich trotzdem.
Danach ging es in den Urlaub.
Anschließend ging es mir nicht wirklich besser, es ist im Herbst eher schlimmer geworden. Ein paar Wochen nach dem Urlaub hat mich meine Freundin Tessa dann in eine Klinik gebracht.
Es ist nicht leicht, über diese Zeit zu sprechen, weil es mir wirklich sehr schlecht ging und man gefühlt oft nicht genau weiß, wie andere Leute darauf reagieren, wenn man dieses Thema anspricht. Gerade weil ich denke, dass es für viele Leute nicht so greifbar ist. Trotzdem möchte ich drüber sprechen.
Jedenfalls haben mir die vielen Gespräche mit Ärztinnen und Ärzten, Therapeutinnen und Therapeuten in der Klinik geholfen, zu verstehen, was los ist. Wir haben einen Schlüssel gefunden, sodass es mir jetzt besser geht.
Du hast in dieser Zeit sehr viel Zuspruch erhalten.
Es war toll zu sehen, dass nicht nur meine Freundin und meine Familie zu mir stehen, sondern auch so viele Menschen aus dem Triathlonsport. Die vielen Besuche haben mir sehr viel bedeutet.
Es war schön zu sehen, wie sich vor allem die Leute aus meiner Trainingsgruppe in Saarbrücken, Freunde aus Saarbrücken, aber auch Freunde, die weiter entfernt wohnen, um mich gekümmert haben. Sie waren und sind eine große Stütze für mich.
Wann war klar, dass du deine Karriere beendest?
Der Entschluss ist während der Zeit in der Klinik gereift. Ich habe gemerkt, dass die Gefahr groß ist, dass der Druck im Leistungssport dazu führt, dass es mir wieder schlechter geht. Bis vor ein paar Monaten habe ich nicht über ein Karriereende nachgedacht. Nun ist mein größter Wunsch, dass es mir wieder richtig gut geht.
Sind die Freundschaften, die du in den vergangenen Jahren geschlossen hast, das Wertvollste, was du aus über einem Jahrzehnt Leistungssport mitnimmst?
Die stehen auf jeden Fall an erster Stelle. Ich durfte so viele coole Leute kennenlernen. Aber auch die Reisen an Orte, an die man sonst nicht kommt, waren etwas sehr Besonderes. Und vor allem etwas, was man oft erst gemerkt hat, wenn man sich mit Leuten unterhalten hat, die nicht aus dem leistungsorientierten Triathlonsport kommen.
Wie viel Sport machst du derzeit?
Ich trainiere drei- bis viermal die Woche. Ich gehe vor allem Radfahren, mache das, was mir Spaß macht und merke, dass mir die Bewegung gut tut.
Es ist einfach schön, nach Lust und Laune wählen zu können, ob ich das Rennrad oder das Mountainbike nehmen möchte. Ich fahre so lange, wie es mir Spaß macht - mal kürzer als geplant und manchmal länger als geplant.
Wie fühlt es sich an, als Nicht-mehr-Leistungssportler Sport zu treiben?
Während meiner Leistungssportkarriere war ich vor harten, wichtigen Trainingseinheiten oft nervös. Die langen, entspannten Einheiten dagegen habe ich immer sehr genossen. Genau diese Einheiten mache ich nun, kann sie genießen und schaue dabei auch nur noch ab und zu auf meine Leistungsdaten. Ganz abgewöhnen kann man sich den Blick auf die Uhr allerdings nicht (lacht).
Wie geht es bei dir nun weiter?
Ich hoffe, dass es mir bald wieder richtig gut geht. Dann würde ich gerne mein Psychologie-Studium abschließen. Und ich kann mir durchaus vorstellen, dem Triathlon verbunden zu bleiben. Ich bin gespannt, ob sich da in der Zukunft etwas ergibt.